Mein langer Weg

In diesem Gastbeitrag berichtet Heidi Vogel von ihrer Lebensgeschichte zwischen Familie und Heim.

Als siebenjähriges Kind verunglückte ich schwer. Dank der Hilfe meiner Mutter, des Lehrers und anderen Leuten musste ich nach fünf Monaten im Kinderspital nicht in ein Heim. Ich wollte auf keinen Fall in ein Heim. Ich dachte, dort sei ich wie im Spital den ganzen Tag im Bett und es sei todlangweilig. Ich war unglaublich froh, dass ich nach Hause durfte. Mir war nicht bewusst, wie wertvoll es war, auf dem Land aufzuwachsen: Die Bewegung tat meinem Körper gut. Ich hielt mich beispielsweise oft im Wald auf. Papa montierte an meinem Velo grosse Stützräder. Nach einiger Zeit konnte ich aber wieder ohne diese Hilfe Velo fahren.

In einem Schulheim hätte ich wohl eine weniger gute Schulbildung als in der normalen Schule erhalten. Dass ich in eine Gesamtschule, welche auch meine Schwester besuchte, ging, machte mir nichts aus. Ich ging gerne zur Schule.

Ich musste ein paar Monate lang zuerst dreimal, dann zweimal und schliesslich einmal pro Woche nach Luzern in die Therapie, meine Mutter fuhr mich hin. Wie nett… Tatsächlich??? Eine Frau, die meine Biographie las und von meiner in einem Wutanfall geäusserten Aussage nachdenklich wurde, wollte sie in Schutz nehmen: «Wir halfen heuen, damit genug Leute dort waren. Sie ging mit dir in die Therapie.» Hätte mich Mutter nicht nach Luzern in die Therapie gebracht, hätte ich trotzdem Therapie erhalten: Eines von Mutters Argumenten, mich nach Hause zu nehmen, lautete: «Zu Hause ist manches Therapie.» Am Wochenende wäre ich zu Hause gewesen. Und während der Woche in einem Heim für Kinder mit Behinderungen. In jedem Heim hätte ich Therapie erhalten. Aber in ein Heim hätte sie mich nicht besuchen können. Ich gewann später oft den Eindruck, dass es ihr in erster Linie um ihr eigenes Wohl und nicht um meines ging. Lesen Sie dazu mehr in meiner Biographie auf www.meinlangerweg.ch.

Eine Ergotherapeutin kam zu uns nach Hause und erteilte mir Therapie. Nach einigen Jahren kam noch eine weitere Therapie hinzu: Psychotherapie… Mir fiel ein Ereignis ein, das Jahre zurücklag und mich traurig und verzweifelt machte. Auch darüber können Sie in meiner Biographie lesen. Zudem hatte ich wohl nicht nur die üblichen Probleme eines pubertierenden Teenagers. Als ich später mit einer Frau der IV einen Brief mit Gesprächsthemen aufsetzte und an die Psychologin schickte, wurde der ursprüngliche Grund nicht mal erwähnt, weil ich gar nicht mehr daran dachte. Das Leben in der Normalität hatte auch seine Nachteile. Aber jeder Mensch hat kleinere oder grössere Probleme.

Die Inklusionsinitiative fordert unter anderem, dass Menschen mit Behinderungen die Wohnform und den Wohnort selber wählen können. Als Kind fand ich es schön, auf dem Land zu leben. Vielleicht weil ich nichts anderes kannte? Wäre es für meine soziale Entwicklung nicht besser gewesen, wenn ich mehr Kontakt zu anderen Kindern gehabt hätte? Manchmal vermisste ich Nachbarskinder. Es war sehr wertvoll gewesen, dass ich fast normal aufwachsen konnte. Aber heute würde ich selbst sagen, ich wolle in einem zentral gelegenen Heim mit guter Betreuung leben. Ärger mit den Eltern ist normal. Das wusste ich zu jener Zeit nicht. Meine Behinderungen waren schuld, dass ich später Krach mit Mutter (mit Papa kam ich besser aus) bekam – mit der ausdrücklichen Betonung auf «später»: Wegen meinen Einschränkungen war ich länger auf sie angewiesen und durfte mich darum nicht über sie ärgern. Wenn ich in einem Heim aufgewachsen wäre, hätte ich nur am Wochenende Kontakt mit ihr gehabt. Dann hätte ich vielleicht weniger Streit mit ihr bekommen. Aber die Vorteile übertrafen die Nachteile bei weitem.

Inklusion ist sehr wichtig.

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Inklusion in den Walliser Bergen