Ein Jahr nach der Einreichung

Vor genau einem Jahr waren wir über 1000 Menschen auf dem Bundesplatz. Enthusiastisch, voller Hoffnungen und Erwartungen haben wir bei der Bundeskanzlei die mehr als 108’000 gesammelten Unterschriften für die Inklusions-Initiative eingereicht. Ein Rückblick auf ein bewegendes Jahr.

Von diesen Bildern und der Stimmung zehre ich noch heute: Die eindrücklichen Reden, die vielen Begegnungen, die selbstgemalten Schilder, die Rampe vor der Bundeskanzlei und…der strömende Regen!

Heute, an diesem Jubiläumstag, sitze ich mit einer dicken Erkältung zuhause und denke an das, was seither passiert ist. Die Inklusions-Initiative hat viel angeregt. Das spüre ich in den Diskussionen mit Menschen um mich herum, entnehme es den Medien und Neuigkeiten aus Bundesbern.

Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage: Dieses Jahr seit der Einreichung war geprägt von Emotionen. Am Tag vor Weihnachten kündigte der Bundesrat in einer Medienkonferenz den indirekten Gegenvorschlag zur Inklusions-Initiative an. Ein Geschenk zum Jahresabschluss? Nicht wirklich. Denn der Entwurf des Gegenvorschlags, der im Juni kurz vor den Sommerferien bekannt wurde, ist eine Enttäuschung.

Das darin enthaltene Inklusionsrahmengesetz fokussiert sich mehrheitlich auf den Bereich des Wohnens in Institutionen. Was ist mit dem Recht auf die Wahl der Wohnform und des -ortes? Das ist keine Selbstbestimmung.

Kritisch am Gegenvorschlag ist die Definition von Behinderung: Diese basiert sich auf den Menschen, die eine Leistung der Invalidenversicherung (IV) beziehen - rund 450’000 Menschen in der Schweiz. Das entspricht nicht den 1,9 Millionen Menschen mit Behinderungen, die das Bundesamt für Statistik erfasst hat. Ein Inklusionsrahmengesetz stelle ich mir wie ein Dach vor. Drunter stehen verschieden Lebensbereich wie Säulen: Arbeit, Wohnen, Bildung, Freizeit, Sport, Kultur.

Nur wenn alle diese Säulen aufgestellt sind, hält das Konstrukt. Wird nur ein Bereich - der des Wohnens - behandelt, ist das meines Erachtens kein Rahmengesetz und erst recht keines, das den Begriff “Inklusion” im Namen tragen sollte.

Als Verein für eine inklusive Schweiz ist es unsere Aufgabe, die Inklusions-Initiative bekannt zu machen, ein breites und überparteiliches Netzwerk zu pflegen und dieses zu erweitern. Die Kampagnen, die wir im Rahmen der Initiative entwickeln, sollen alle Menschen ansprechen und motivieren, sich zu engagieren -insbesondere die 20 % der Bevölkerung, die mit einer Behinderung lebt und deren Meinung und Lebensrealität noch immer viel zu wenig in die Entscheidungsfindung einfliesst.

Eine unserer grössten Herausforderung ist aktuell, die finanzielle Lage für die Weiterführung der Initiative zu sichern. Denn schon jetzt zeichnet sich ab, das dieser Kampf für Gleichstellung noch Jahre dauern wird. Die Inklusions-Initiative ist unsere Chance, in der Schweiz in Sachen Inklusion etwas zu verändern. Verpassen wir sie nicht!

Ich danke allen für ihr Vertrauen und ihr tägliches Engagement - gemeinsam für eine inklusive Schweiz!

Iris Hartmann, Geschäftsleiterin Verein für eine inklusive Schweiz

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